Postkarten als historische Quellen.

Seit den
1880er Jahren waren Ansichtskarten vermehrt im Umlauf.
Der
Siegeszug des ersten globalen Bildmediums.
Vereinheitlichte Regelungen zu Format, Adressfeld und zum Platz für
Mitteilungen sind seitdem über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg
verständlich. Im Standardformat der Postkarte liess sich das Fremde,
Bedrohliche, Faszinierende und exotische in vertraute Strukturen
einfügen und unterwarf es gleichzeigtig einem europäischen Bildregime.
Als frühe kulturindustrielle Massenware hatten Ansichtskarten somit eine
Definitionsmacht über das „Sehenswerte“ und machten es – auch für
Daheimgebliebene – konsumierbar. Dabei ist das Besondere am Bildmedium
Postkarte der Inszenierungscharakter der Motive: Ansichtskarten können
durchaus koloriert, retuschiert und montiert sein.
Mit dem
Versand der Postkarten aus aller Herren Länder begann Ende des 19.
Jahrhunderts auch die
Sammelleidenschaft. Die Karte war nicht nur ein Kommunikationsmittel,
sondern liess Daheimgebliebene an der Ferne teilnehmen, indem die Bilder
auf der Vorderseite zur „Lehnstuhlreise“ anregten: Die Karten machten
die ferne Welt nah und sichtbar. Schliesslich wurde die Ansichtskarte
zum Markenzeichen des Tourismus. Abgeschickte Karten beweisen seitdem
die eigene Reise und berichten in Wort und Bild einem Publikum zuhause
von den Erlebnissen in der Ferne. Denn üblicherweise können die Karten
nur vor Ort gekauft werden, selbst wenn sie in einer fernen Stadt oder
gar von einem französischen oder deutschen Unternehmen gefertigt worden
waren, wie es bei den in dieser Ausstellung präsentierten Postkarten aus
Russland oft der Fall gewesen ist. Durch den Kauf an einem Ort und das
Abschicken der Karte von dort , erhält die seriell hergestellte Karte
ihren Ortsbezug zurück.
Anfangs
waren Postkarten allerdings noch kein ausschliesslich touristisches
Medium. Oft dienten sie als „Bildergalerie der kleinen Leute“. Im 19.
Jahrhundert ermöglichten die Karten weniger wohlhabenden Menschen, sich
ihre eigene Lebenswelt und andere Lebenswelten auch visuell anzueignen.
Diese Funktion wurde mittlerweile durch die private Fotografie, durch
Bildbände oder das Internet ergänzt.
Aus
historischer Sicht ist es interessant, die Bildmotive der Karten über
Zeit und Raum miteinander zu vergleichen. Dabei zeigt sich eine
„Karriere von Motiven“ wie beispielsweise die sogenannten Typenbilder
verschiedenster Kulturen, die es zeitgleich auch von Menschen ausserhalb
Russlands gab. Aufstieg und Niedergang von Motiven sowie der
Veränderungen in den Bildperspektiven sind auch Teil eines grösseren
historischen Rahmens. Als visuelle Organisation der Umwelt prägen
Ansichtskarten aktiv unser historisches Bild von Orten und Menschen
einer bestimmten Zeit mit.
Im
Kontext mit weiteren Quellen, etwa Reiseberichten, geben uns die
Ansichten mittels eines kritischen Umgangs mit ihrer Inszeniertheit
Auskunft über die vergangenen Lebenswelten der Gezeigten als auch der
Zeigenden. Zudem machen die Botschaften der Schreiberinnen und Schreiber
Postkarten zu einer einzigartigen historischen Quelle.
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